Würzburg – Pfleger, die von einem Patienten zum anderen hetzen, übermüdet oder kurz zuvor für einen kurzfristig ausgefallenen Kollegen aus der Freizeit geholt. Auch in vielen unterfränkischen Krankenhäusern ist dies schon heute Alltag. Das ergab ein Gespräch mit Betriebs- und Personalräten unterfränkischer Kliniken mit SPD-Bundestags- und Landtagsabgeordneten.
In Bayern fehlen bereits heute 21.000 Stellen in bayerischen Krankenhäusern, davon alleine 12.000 in der Pflege. „Es war schockierend, was wir zu hören bekamen“, fasst Georg Rosenthal das Gespräch zusammen: „An den Arbeitsbedingungen zeigt sich eine erschreckende Geringschätzung der Arbeit des Pflegepersonals.“ Er fordert deshalb eine deutlich bessere Finanzierung der Krankenhäuser durch den Freistaat.
„Wir haben von der Politik viele warme Worte gehört, getan hat sich aber nichts“
Dabei ist eine bessere Bezahlung der Mitarbeiter gar nicht einmal das wichtigste Thema in der Pflege: „Wir wollen nicht mehr Geld, wir wollen mehr Kolleginnen und Kollegen“, bekommt Stefan Kimmel von der Gewerkschaft ver.di immer wieder von Beschäftigten aus dem Gesundheitswesen zu hören.
Nur mit einer gesetzlichen Personalbemessung ist es möglich, die Arbeitsbedingungen entscheidend zu verbessern, für alle Klinikbetreiber gleichen Wettbewerb herzustellen und den Ruf eines im Grunde attraktiven – auch da sind sich alle einig – Berufs wiederherzustellen. Seit der Pflege-Kampagne, „Der Deckel muss weg“ von 2008 sei keine echte Verbesserung zu beobachten: „Wir haben von der Politik viele warme Worte gehört, getan hat sich aber nichts.“ Oft sei den Beschäftigten kaum mehr möglich, als den Betrieb aufrecht zu erhalten.
Die Folgen des Personalmangels sind schon heute unübersehbar: viele Überstunden, hohe Krankenstände, Flucht in die Teilzeit und Frühverrentung und vor allem Schwierigkeiten, junge Menschen für den Beruf zu gewinnen. „Wir verlieren gerade die erfahrenen Leute, die auch die jüngeren Kollegen so dringend brauchen“, berichtet einer der Teilnehmer. „Es ist ein Teufelskreis.“
Fehlen die gestandenen Kräfte, neigen zudem viele Krankenhäuser dazu, Auszubildende dort einzusetzen, wo Not am Mann ist. Für einen Kollegen ist es darum nicht „verwunderlich“, dass in den Lehrgängen die meisten schon nach wenigen Wochen ihre Ausbildung beenden: Von 20 bleiben oft gerade einmal fünf übrig, hat er beobachtet.
Deutschland im europäischen Vergleich hinter Polen und Griechenland
Der Pflegenotstand an den deutschen Krankenhäusern wird besonders deutlich, wirft man einen Blick auf die europäischen Staaten: So werden in Deutschland 13 Patienten von einer Pflegefachkraft betreut, in Großbritannien sind es 8,6, in der Schweiz 7,9 den Niederlanden 7. Selbst in Polen oder Griechenland sind es mit 10,5 und 10,2 deutlich weniger und in den USA kümmert sich eine Fachkraft gerade einmal um 5,3 Patienten.
Besonders angespannt sei die Situation nachts, erklärt Stefan Kimmel: Der Nachtdienst sei für durchschnittlich 26 Patienten, in manchen Stationen für bis zu 40 zuständig. Nicht selten müsste ein Pfleger eine Schicht alleine übernehmen. „Immer begleitet die Pfleger das schlechte Gewissen, die Patienten nicht so versorgen zu können, wie sie es eigentlich müssten und es in der Ausbildung gelernt hatten.“
Unverantwortliche Sparpolitik des Freistaates
Schuld an der Misere ist die Finanzierung der Krankenhäuser: Das Krankenhausfinanzierungsgesetz von 1972 sieht zwar eine gemischte Finanzierung durch Bund und Länder vor, bei der der Freistaat die Investitionen in Großgeräte und die Baumaßnahmen übernehmen müsste, die Krankenkassen übernehmen nach Gesetz die laufenden Betriebskosten und somit auch die Personalkosten.
Die staatliche Investitionsförderung deckt derzeit maximal ein Drittel der tatsächlich langfristig notwendigen Investitionen ab, was Kathi Petersen für völlig unzureichend hält. Den Krankenhausträgern bleibt oft keine andere Wahl, als das Budget der Krankenkassen zweckentfremdet einzusetzen und damit die Lücke bei den Investitionskosten zu schließen, die eigentlich zu 100%, nach Krankenhausfinanzierungsgesetz vom jeweiligen Bundesland zu tragen wären.
Anstatt ausreichend Personal zu beschäftigen, welches wichtig ist für eine gute und sichere Versorgung kranker Menschen, werden somit „Baustellen“ finanziert. Und das letztlich auch zu Lasten der Gesundheit der Klinikbeschäftigten. „Das für Personal vorgesehene Budget darf nicht für Sachkosten zweckentfremdet werden“, so Petersen.
Immerhin stehen im kommenden Haushalt des Freistaats zusätzlich zu den bisherigen 500 Millionen Euro knapp 150 Millionen Euro zur Verfügung. Nach Ansicht des SPD-Finanzexperten Volkmar Halbleib ist der Investitionsstau jedoch so erheblich, dass auch dies kaum ausreichen dürfte: „Vor der Jahrtausendwende galt der Freistaat noch als mustergültig in seiner Versorgungsstruktur“, stellt er fest. Heute schreibe jede zweite Klinik rote Zahlen.
Er hält ein Gesamtbudget von mindestens 750 Millionen Euro für nötig, um die Gebäude wieder auf Vordermann zu bringen. Allerdings gebe es zunehmend auch kleinere Kliniken, die die vorhandenen Mittel gar nicht erst abrufen, da diese Kliniken, die verbleibenden Investitionskosten, die nicht vom Bundesland getragen werden, nicht mehr schultern können. Auch besteht für viele Krankenhäuser nicht die Möglichkeit, weiter diese fehlenden Gelder aus dem Topf der Betriebskosten zu entnehmen, um quer zu finanzieren. Die Personaldecke ist zu dünn, mit noch weniger Personal kann schlichtweg der Klinikbetrieb nicht mehr aufrechterhalten werden.
Der Bundestagsabgeordnete Bernd Rützel schloss mit den Worten: „Wir diskutieren schon lange über eine Aufwertung der Pflegeberufe. Erste Schritte sind getan, jetzt muss es zügig weitergehen. Wir brauchen eine bessere Personalausstattung in den Einrichtungen, bessere Arbeitsbedingungen und endlich angemessene Löhne „Pflege braucht Zeit, Pflege braucht Wertschätzung und Pflege muss für jedermann bezahlbar bleiben. Dafür werden wir uns im Landtag und im Bundestag einsetzen“, ergänzte Martina Fehlner, Landtagsabgeordnete aus Aschaffenburg.
„Wir brauchen bessere, gesetzliche Personalschlüssel sowie höhere staatliche Unterstützungen für die Krankenhäuser“, schließt sich Volkmar Halbleib den Lösungsvorschlägen an. „Nur dann wird der Pflegeberuf wieder attraktiv und grundlegende Qualitätsstandards bleiben erhalten. Derzeit sichert nur das enorm hohe Engagement der Pflegerinnen und Pfleger die Qualität.“
Bild: Im Gespräch: SPD-Politiker aus der Region mit Betriebs- und Personalräten unterfränkischer Kliniken (Foto: Corbinian Wildmeister)