Würzburg – Auch 73 Jahre nach Kriegende und dem Niedergang des NS-Regimes beschäftigt die Stadt Würzburg der angemessene Umgang mit NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern in ihren Institutionen, Archiven und Sammlungen.
Das Museum im Kulturspeicher betreibt bereits seit dem Jahr 2014 intensiv die wissenschaftliche Provenienzforschung ihrer Kunstwerke und präsentiert derzeit in der Ausstellung „Herkunft & Verdacht“, die bisherigen Ergebnisse der Zugangsjahre 1941-1945. 69 Gemälde und andere Kunstwerke unklarer Herkunft wurden in die internationale „Lost Art“-Datenbank eingestellt, bei vier Kunstwerken ist bisher bewiesen, dass sie ihren rechtmäßigen Eigentümern unrechtmäßig entzogen wurden. Auch im Museum für Franken ist seit April 2018 eine Stelle für Provenienzforschung eingerichtet, die wie die im Museum im Kulturspeicher vom Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste gefördert wird.
Nun rücken weitere bemerkenswerte Funde aus den Sammlungen der Stadt Würzburg im Museum für Franken und im Stadtarchiv das sensible Thema erneut in den Fokus des Kulturreferats. Dem Kultur- und Schulausschuss wurde deshalb ein Grundsatzbeschluss zur Empfehlung an den Stadtrat vorgelegt, der eine verbindliche Handlungsmaxime vorgibt, die im Sinne der existierenden internationalen und nationalen Abkommen zu NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern den Rahmen für die angestrebte Rückführung an die rechtmäßigen Besitzer oder Rechtsnachfolger festlegt.
Das Kulturreferat empfiehlt ein klares Bekenntnis zur sogenannten „Washingtoner Erklärung“ von 1998 beziehungsweise ein Bekenntnis zur „Gemeinsamen Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände“, die sich 1999 mit der gleichen Fragestellung befasste. Mit dieser Selbstverpflichtung hätte Würzburg klare Leitsätze, die das Handeln bei einem entsprechenden Fund bestimmen. Mehr noch: der angestrebte Beschluss des Stadtrats unterstreicht noch einmal das Ziel, die Bestände in kommunaler Verantwortung systematisch nach entsprechenden Kunstwerken und Archivalien zu durchforsten und die erfolgreich begonnene Provenienzforschung fortzusetzen.
Je nach Einzelfall kann sich die Frage der Restituierung sehr unterschiedlich gestalten: In Fällen, in denen die rechtmäßigen Eigentümer oder deren Erben ermittelt werden können, wie voraussichtlich bei den Kunstwerken im Museum im Kulturspeicher, sollen die Werke zur Rückgabe angeboten oder andere faire und gerechte Lösungen gefunden werden.
In anderen Fällen, insbesondere solchen, bei den Kulturgüter aus Institutionen entzogen wurden, die nicht mehr existieren und keinen klaren Rechtsnachfolger haben, sollen die Kulturgüter zur
treuhänderischen Verwaltung an solche Institutionen oder Körperschaften übergeben werden, die im Sinne und Geist der ursprünglichen Eigentümer agieren.
Funde im Stadtarchiv
Im Stadtarchiv wurden aktuell fünf Bücher mit Rechnungsbelegen der Israelitischen Unterrichts- und Erziehungsanstalt in Würzburg aus den Jahren 1891-1895 aufge-funden. Das Stadtarchiv geht davon aus, dass diese der israelitischen Kultusgemeinde in der Reichspogromnacht 1938 unrechtmäßig entzogen wurden. Entsprechend will man diese Bände an die heute wieder existierende Israelitische Kultusgemeinde übergeben. Bereits im vergangenen Jahr wurden in diesem Sinne vier Archivalien, darunter ein Amtsbuch der Israelitischen Gemeinde Heidingsfeld, an die Israelitische Kultusgemeinde Würzburg und Unterfranken übergeben.
Ausstellung im Jüdischem Museum München
Ein weiterer beachtlicher Fund im Museum für Franken sorgte für ein noch größeres öffentliches Interesse. Seit vielen Monaten werden dort über 100 teils fragmentierte oder stark zerstörte jüdische Ritualobjekte erforscht, die im Depot Zeughauskeller über Jahrzehnte in Vergessenheit geraten waren. Die bei einer Kurz-Inventarisierung aufgetauchten Schätze erhöhen die Zahl des nun bekannten Judaica-Konvoluts des Museums auf rund 140 Stücke.
Als Experte zur Erforschung der Provenienz wurde Bernhard Purin, Direktor des Jüdischen Museums in München, in die Forschung einbezogen. Inzwischen konnte so belegt werden, dass 44 der Objekte im Kontext der Reichspogromnacht unrechtmäßig aus mehreren Synagogen aus Unterfranken und Würzburg entzogen wurden. Die Forschungen Purins in Würzburg münden in Kürze in einer Ausstellung, die zunächst in München (6. November 2018 bis 5. Mai 2019) und schließlich im Museum für Franken (4. Juni 2019 bis 15. September 2019) präsentiert wird. Das unterfränkisch-oberbayerische Kooperationsprojekt trägt den Titel „Sieben Kisten mit jüdischem Material – Von Raub und Wiederentdeckung 1938 bis heute“.
Kulturreferent Achim Könneke bezeichnet die intensive Würzburger Provenienzforschung und Ihre vorbildliche Vermittlung durch die beiden aktuellen Ausstellungen als späte, aber konsequente Aufarbeitung dieser beschämenden Aspekte der Stadt- und Kulturgeschichte. „Die in den Kontext ihrer spezifischen Geschichte vermittelten Exponate erzählen mehrere Geschichten gleichzeitig: Sie erzählen vom früheren jüdischen Leben in Unterfranken, darüber hinaus dokumentieren sie anschaulich und konkret die Verfolgung und Entrechtung durch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft.
Und sie zeigen auf, wie tiefgreifend und bis heute andauernd dieser Teil der deutschen Geschichte unseren Alltag, unsere Museen und ihre Sammlungen rechtlich, vor allem aber ethisch und moralisch belasten. Nach der Erforschung stellt sich die Stadt Würzburg nun ebenso konsequent der verantwortungsvollen Aufgabe der Restituierung von NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern, die sich unrechtmäßig in ihren Sammlungen befinden.“
Nach der Empfehlung des Kultur- und Schulausschuss befasst sich auch der Hauptausschuss am 11. Oktober und schließlich der Stadtrat am 18. Oktober mit dem Umgang mit NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern.