Himmelstadt – Auf dem großen Tisch stehen mehrere der gelben Postkästen, die randvoll mit Weihnachtspost sind: Wunschzettel und Briefe von Kindern weltweit. Etwa 30 bis 40 ehrenamtliche Helfer bearbeiten jedes Jahr ab dem 1. November die Weihnachtspost, die „An das Christkind“ adressiert in der Himmelstädter Weihnachtspostfiliale eintrifft.
Rosemarie Schotte, Leiterin der Filiale, rechnet auch in diesem Jahr wieder mit etwa 80.000 Briefen: „Uns erreichen Briefe aus 123 Ländern.“ Die meisten seien aus Deutschland, aber auch Kinder aus Taiwan, Malaysia oder Schweden schreiben an die unterfränkische Weihnachtspostfiliale. Am ersten und dritten Adventswochenende haben Kinder und Besucher die Möglichkeit, ihre Wunschzettel persönlich bei den Weihnachtsengelchen in der Postfiliale abzugeben.
Im Gegensatz zu früher fallen die Wünsche der Kinder heutzutage größer und teurer aus, stellt Schotte fest: „Teilweise schreiben schon Fünfjährige, dass sie ein Tablet oder Smartphone wollen.“ Manche Kinder schicken mehrere Seiten Papier, auf denen lediglich Produkte aus Werbezeitschriften aufgeklebt sind. Nach wie vor sind aber viele Wunschzettel dabei, in denen sich die Kinder immaterielle Dinge wünschen. „Hat der Opa denn auch warme Socken an, damit er bei dir im Himmel nicht friert?“, schreibt ein Junge an das Christkind, der sich Sorgen um seinen verstorbenen Großvater macht. Schotte und ihre Helfer beantworten jeden Brief oder Wunschzettel mit einem vorgefertigten Antwortblatt. Die Kosten für den Druck, die Umschläge und das Porto übernimmt die Deutsche Post.
„Den hier kann ich nicht lesen. Rosi, ich brauche Dich zum Entziffern“, sagt eine der drei Helferinnen, die an diesem Morgen die Wunschzettel an das Christkind sortieren. Schotte erkennt, dass der Brief Teil einer Sammlung ist: Das Kind hat den gedruckten Weihnachtsbrief mit eigenen Wünschen, dem Namen und gemalten Verzierungen ergänzt. Ebenso sind fünf weitere Briefe gestaltet, die zusammen in einem großen Umschlag gekommen sind. „Die Briefsammlung ist von geflüchteten Kindern.
Ein Mädchen wünscht sich Frieden und Gesundheit für sich und ihre Familie“, erklärt Schotte. Viele Briefe zeigten, dass die derzeitige weltpolitische und gesellschaftliche Situation nicht an den Kindern vorbeigehe. „Kinder aus Deutschland schreiben etwa, dass sie auf ihre Geschenke verzichten wollen und das Christkind sie den Kindern aus Syrien schenken soll. Das berührt einen schon sehr“, erzählt Schotte.
Die Briefe werden von den Helfern in fünf Kategorien sortiert, um entsprechend ihres Umfangs und Inhalts bearbeitet und beantwortet zu werden. „Obwohl sich die Wünsche der Kinder hin zu größeren Geschenken verändert haben, gibt es auch viele, die gar nicht an sich denken“, sagt Irmtrud Kümmet, die seit etwa fünf Jahren in der Weihnachtspostfiliale mithilft.
Für jedes Jahr gestaltet Schotte einen neuen, einheitlichen Antwortbrief vom Christkind, den die Kinder auf ihre Weihnachtspost erhalten. In diesem Jahr habe sie sich zum ersten Mal für eine bunte Darstellung entschieden. Die Zeichnung unterhalb des von Schotte verfassten Textes zeigt heuer die Weihnachtsbäckerei. „Das gemalte Bild auf dem Antwortbrief passt immer zur Dekoration hier in der Weihnachtspostfiliale“, erklärt Schotte.
Bis auf den Namen des Kindes, der in jedem Brief handschriftlich ergänzt werde, ist alles vorgedruckt. In jeden Umschlag stecken die Helfer zusätzlich ein Weihnachtspostkarten‑Leporello. Besonders eindrucksvolle Briefe, in denen ein Kind sein schweres Schicksal wie etwa eine Krankheit oder den Tod eines Familienmitglieds beschreibt, beantwortet Schotte gemeinsam mit einem weiteren Kollegen individuell und handschriftlich. „Dazu brauche ich meine Ruhe und genügend Zeit. Ich muss ein Gefühl für die Situation bekommen, erst dann kann ich angemessen auf so einen tiefgreifenden Brief antworten“, erzählt Schotte.
Insgesamt gebe es sieben Weihnachtspostfilialen in ganz Deutschland. Diejenige in Himmelstadt ist die einzige in Bayern. Im Jahr 1986 wurde die Filiale offiziell eröffnet, doch schon vorher wurden Wunschzettel an das Christkind geschrieben. Es liegen Exemplare aus den Jahren 1928, 1943 und 1950 vor. Bereits 1993 habe Schotte zum ersten Mal als Helferin in der Weihnachtspostfiliale mitgearbeitet: „Ich wollte eigentlich nur schnuppern, aber ich war so angetan, dass mich die Filiale und die Idee dahinter nicht mehr losgelassen haben.“ Damals seien schon 25.000 Briefe an das Christkind eingetroffen. „Scheinbar hat man mir meine Begeisterung angemerkt, denn ich wurde im gleichen Jahr gefragt, ob ich die Leitung der Weihnachtspostfiliale übernehmen wolle“, erzählt Schotte.
Während die Ehrenamtlichen meist vormittags ein paar Stunden helfen, ist Schotte das ganze Jahr über mit der Organisation der Weihnachtspostfiliale beschäftigt. „Im Januar erreichen uns zahlreiche Dankesbriefe. Das ist unser Dank für die viele Arbeit – das macht uns glücklich“, erklärt Schotte. Im Sommer nächsten Jahres vertritt sie die Himmelstädter Weihnachtspostfiliale auf der Landesgartenschau in Würzburg. Zudem finden mehrfach im Jahr Ausflugsgruppen den Weg nach Himmelstadt, denen Schotte die Filiale und ihre Arbeit vorstellt.
„Seit 2010 veranstaltet der WDR jedes Jahr am 3. Oktober den ‚Türöffner-Tag‘ mit der Maus, bei dem Türen geöffnet werden, die Kindern sonst verschlossen bleiben“, erklärt Schotte. Dafür bereitet sie etwa Stationen zum Basteln und Salzteigplätzchenbacken vor.
Viele Briefe seien zwar an den Weihnachtsmann, den Nikolaus oder den „lieben Gott“ adressiert, werden aber natürlich trotzdem beantwortet. „Unter dem Antwortbrief steht dann ‚Dein Christkind‘. An welche Figur die Kinder glauben, spielt für uns erstmal keine Rolle“, erklärt Schotte. In der Weihnachtspostfiliale gilt wie in jedem Postamt das Postgeheimnis – wenn sie oder ihre Helfer von schönen oder traurigen Briefen erzählen, nennen sie keine Namen.
„Ich freue mich über jeden schön gestalteten, selbst gemalten Brief oder Wunschzettel, in dem sich das Kind mit lieben Worten dem Christkind anvertraut“, erzählt Christa Sauer, die heuer zum zehnten Mal mithilft, die Weihnachtspost zu bearbeiten. Was Schotte motiviert, seit 24 Jahren Briefe und Wunschzettel zu beantworten, ist, dass sie Menschen damit glücklich macht: „Freilich kann man mit den Christkind-Briefen nicht die Welt verändern. Aber ich will den Kindern in schlimmen Zeiten Mut machen.“
Weitere Informationen unter www.weihnachtserlebnisse.de
Bild: Ihre Wunschzettel können die Kinder am ersten und dritten Adventswochenende in den historischen Briefkasten der Himmelstädter Weihnachtspostfiliale werfen. (Foto: Carolin Hasenauer / POW)