Ohne ihn gäbe es wohl keine Reliquienprozession zur Eröffnung der Kiliani-Wallfahrtswoche: Pfarrer Dr. Josef Hersam (1890-1948) holte im Jahr 1942 die Häupter der Frankenapostel Kilian, Kolonat und Totnan heimlich von Würzburg nach Gerolzhofen und versteckte sie im Nordturm der Pfarrkirche Maria vom Rosenkranz. So entgingen sie dem verheerenden Bombenangriff vom 16. März 1945.
70 Jahre nach Kriegsende ist das Interesse an Hersam neu erwacht. Es gibt eine Biographie über den Pfarrer, mit seiner Rolle im Frauenaufstand von Gerolzhofen befassen sich unter anderem auch ein Theaterstück und ein Sachbuch. „Pfarrer Hersam war ein mutiger und zugleich ein sehr kluger Mann“, sagt Pfarrer Stefan Mai über seinen bekannten „Vorgänger“ im Amt.
Jedes Jahr führt Pfarrer Stefan Mai Kommunionkinder hinauf in den Nordturm der Gerolzhofener Pfarrkirche Maria vom Rosenkranz. Dort steht in einem Raum noch die Eichentruhe, in der während des Zweiten Weltkriegs die Reliquien der Frankenapostel Kilian, Kolonat und Totnan versteckt waren. „Ich gehe immer mit den Kommunionkindern in diesen Raum und erzähle ihnen die Geschichte.“ Und die erinnert an einen spannenden Krimi. Nach Aussage von Monsignore Robert Kümmert (1909-1991) habe Hersam die wertvollen Reliquien auf eigene Faust aus dem Kiliansdom geholt und in den Steigerwald gebracht, sagt Professor Dr. Johannes Merz, Leiter des Archivs der Diözese Würzburg. „Es muss allerdings eine Einigung mit dem Domkapitel gegeben haben“, ist er sich sicher.
Main-Post Redakteur rekonstruierte den Ablauf der Aktion
Norbert Vollmann, Redakteur der Main-Post in Gerolzhofen, hat den Ablauf dieser Aktion für seine Biographie „Dr. Joseph Hersam, Pfarrer in Gerolzhofen von 1935 bis 1948“ rekonstruiert. Nach seinen Erkenntnissen spielte sich folgendes ab: „Ende 1941 oder Anfang 1942 bringt Dr. Hersam mit Unterstützung des hiesigen Lagerhausbesitzers und Kaufmanns Karl Wolf sowie seines (unwissenden) Fahrers Kilian Pfaff die Reliquien der Frankenheiligen Kilian, Kolonat und Totnan (…) aus dem Domschatz in Würzburg heimlich nach Gerolzhofen und versteckt sie bis Kriegsende im Nordturm der Stadtpfarrkirche.“ Laut Vollmann folgten weitere Fahrten nach Würzburg und zurück, bei denen unter anderem auch „verschiedene alte Paramente (Bischofsgewänder)“ in Sicherheit gebracht worden seien. In einem amtlichen Protokoll über die Rückführung der Reliquien, das im Diözesanarchiv aufbewahrt wird, ist der Zeitpunkt genauer eingegrenzt: „Die Reliquien waren auf Veranlassung des Domkapitels im Jahre 1942 in einer eißernen Truhe in Erwartung eines Luftangriffes in Sicherheit gebracht worden.“
Egal, von wem die Initiative letztlich ausging, dank des Einsatzes von Hersam entgingen die Häupter der Frankenapostel dem Bombenangriff des 16. März 1945 und der sicheren Zerstörung. Denn im Feuersturm schmolzen die Domglocken, das flüssige Metall strömte durch die Öffnungen der Glockenseile nach unten und zerstörte alle dort eingelagerten Gegenstände. „Hätte Dr. Hersam die Häupter-Reliquien der Frankenapostel und die anderen Kirchenschätze nicht zuvor in Sicherheit gebracht, sie wären beim Luftangriff am 16. März 1945 auf Würzburg mit Sicherheit ebenso ein Raub der Flammen geworden wie der zurückgelassene Reliquienschrein“, ist Vollmann überzeugt.
Versteck drohte kurz vor Kriegsende aufzufliegen
Die wertvollen Häupter waren in Sicherheit – so schien es. Doch wenige Wochen vor Ende des Zweiten Weltkriegs drohte das Versteck aufzufliegen. Wie, das beschreibt Professor Dr. Rainer Leng, außerplanmäßiger Professor am Institut für Geschichte der Universität Würzburg, in seinem Buch „Frauenaufstand in Gerolzhofen“. „Am 6. April 1945 versammelten sich unter dem Eindruck der immer näher heranrückenden amerikanischen Truppen auf Initiative der Hauptlehrerin Josephine Schmitt mehrere Hundert Gerolzhöfer Bürger, vorwiegend Frauen, auf dem Marktplatz, um die kampflose Übergabe der Stadt zu fordern und sie so vor der Zerstörung zu bewahren.“ Dazu sollte auf dem Kirchturm die weiße Fahne gehisst werden. Doch Pfarrer Hersam, wegen seines konsequenten Widerstands gegen das nationalsozialistische Regime von den Machthabern auch als „Hetzer Hersam“ bezeichnet, verweigerte den Zugang zum Kirchturm. „Laßt die Kirche aus dem Spiel! Ich werde sonst aufgehängt“, soll er gesagt haben. „Er fürchtete die Entdeckung des Schatzes und lenkte die Fahnenhissung daher geschickt auf das Rathaus“, schreibt Leng.
Interviews mit Zeitzeugen für Theaterstück
Der Frauenaufstand ist auch das Thema des Stücks „Fräulein Schmitt und der Aufstand der Frauen“, das vom „Kleinen Stadttheater Gerolzhofen“ im September aufgeführt wird. Theaterleiterin Silvia Kirchhof hat sich während der Vorbereitungen intensiv mit Pfarrer Hersam befasst und dazu auch rund 30 Zeitzeugen interviewt, darunter ehemalige Nachbarn und Ministranten. Bei den wissenschaftlichen Recherchen wurde sie von Professor Leng unterstützt, das Stück selbst schrieb der in Gerolzhofen geborene Schriftsteller Roman Rausch. Für Kirchhof sind bei der Inszenierung auch die Charaktere der Hauptfigur Josephine Schmitt und des Pfarrers wichtig. „Fräulein Schmitt war eine alleinstehende Frau, tief religiös, und hatte wohl eine sehr enge seelsorgliche Bindung mit Pfarrer Hersam“, erzählt sie. „Pfarrer Hersam spielte eine wichtige Rolle, weil man ihm vertrauen konnte. Er war eine sehr positive Figur. Und er war einer, der sein letztes Hemd für die Menschen hergegeben hat.“ Die älteren Menschen, die Hersam noch kannten, würden „mit Respekt“ von ihm sprechen, erzählt auch Pfarrer Mai. „Hersam hatte großen Rückhalt in der Bevölkerung und war gut vernetzt. Er wusste, wie er im Kampf gegen die Nationalsozialisten bestehen kann.“
Die Häupter der Frankenapostel konnten erst 1949 wieder nach Würzburg überführt werden. Umso feierlicher wurde die Einholung der Häupter gestaltet, wie die Unterlagen im Diözesanarchiv bezeugen. Die eiserne Kiste wurde demnach am 3. Juli aus dem Turmzimmer in die Sakristei gebracht. Die Häupter wurden in einen neuen Glasschrein gesenkt. „Die Reliquien werden in der Nacht vom 4. auf 5. Juli im Schrein in der Pfarrkirche zu Gerolzhofen aufbewahrt, um in dreitägiger Prozession am 5., 6. und 7. Juli nach Würzburg gebracht zu werden“, heißt es weiter in dem von Domkapitular Dr. Theodor Kramer unterzeichneten Protokoll. Hersam selbst erlebte den Tag der Rückführung nicht mehr: Er starb am 12. Oktober 1948 an Lungenkrebs.