Im Jubiläumsjahr zeigt der Grafeneckart ein ganz anderes Gesicht. Zum ersten Mal seit den Siebziger Jahren wird die Fassade des Rathausturms von Grund auf saniert. Damit verschwindet für ein Jahr ein Würzburger Wahrzeichen hinter einer Schutzplane, diese wiederum eröffnet aber auch ganz besondere Gestaltungsmöglichkeiten.
Als feststand, dass aus Sicherheitsgründen eine Mesh-Beplanung des Grafeneckart-Baugerüsts notwendig ist, entstand in der Direktoriumskonferenz die Idee, diese Planen wie eine überdimensionale Leinwand zu nutzen. „Mit einer Baustellenoptik in Grün oder Weiß in dieser 1A-Lage und noch dazu im Jubiläumsjahr unseres Rathauses konnte ich mich nicht anfreunden“, erinnert sich Oberbürgermeister Christian Schuchardt an die ersten Ideensammlungen für eine „ansprechende „Ersatzfassade“. Für diese perfekte Werbefläche, die aber natürlich nur der „Eigenwerbung“ dienen sollte, gab es schnell eine Reihe von Themen und Motivvorschlägen. Folgendes Themen-Quartett wurde schließlich umgesetzt: „Flucht und Vertreibung“, „700 Jahre Grafeneckart als Rathaus“, „Würzburg als Kulturstadt“ und „Würzburg als Stadt der Wissenschaft und der Wissenschaftler“.
Um diese ungleichen Aspekte formal und inhaltlich harmonisch zu gliedern wurden vom Stadtgrafiker Markus Westendorf zahlreiche Entwürfe angefertigt. Im Arbeitsprozess am 55 Meter hohen Objekt wurde klar, dass es nicht um eine eindimensionale, en passant aufnehmbare Vermittlung von Botschaften gehen kann. Das Motiv sollte über die lange Hängzeit mehrschichtige

Betrachtungsaspekte und verschiedene Interpretationsmöglichkeiten bieten, so dass die Gestaltung auch bei wiederholter Betrachtung interessant bleibt. Der schließlich realisierte Entwurf zeigt drei Gestaltungsebenen:
1. Die fotografische Ebene
In grob gerasterten (gepixelten) Bildern sieht man auf der Westseite ein archetypisches Bild von Flüchtlingen. Es handelt sich um ein fast 70 Jahre altes Foto, das aber genauso gut einen tagesaktuellen Bezug ermöglicht ohne ausschließlich eine spezifische Flüchtlingsgruppe oder -problematik zu thematisieren.
Auf der Südseite ist ein Selbstportrait Tilman Riemenschneider zu sehen (Detail vom Creglinger Marien-Altarretabel). Riemenschneider war in dieser Stadt künstlerisch, unternehmerisch und politisch (auch als Bürgermeister im Grafeneckart) tätig. Sein Portrait ist aufgeblendet auf ein Foto der Rathausfassade.
Auf der schmalen Ostseite ist im unteren Teil die erste Röntgenaufnahme der Hand mit Ring zu sehen. Im oberen Teil ist ein Bildnis W. C. Röntgens zu erkennen, der hier 120 Jahre nach der Entdeckung der nach ihm benannten Strahlen, stellvertretend für bedeutende Würzburger Forscherpersönlichkeiten (u.a. 14 Nobelpreisträger) steht.
Gemeinsam ist diesen Bildern, dass sie erst mit zunehmendem Betrachtungsabstand besser zu erkennen sind. Was von Nahem als rotbraune Ansammlung von farbigen Kacheln erscheint, wird aus der Ferne zu einem, die mediale Wirklichkeit zitierendem Bild. Manches wird erst mit dem nötigen Betrachtungsabstand erkennbar, mit erworbener Kenntnis allerdings schon im Detail verständlich. Der Farbklang ist an den umgebenden Gebäuden angelehnt.
2. Typografische Elemente in der Planengestaltung
Die sieben Begriffe lauten „Wirklichkeit“, „Verständnis“, „Phantasie“, „Einsicht“, „Übersicht“ „Durchblick“ und „Weihrauch“. Neben dem eigentlichen Wortsinn beinhalten sie, in versalen Lettern gesetzt, auch noch die Personalpronomen ICH, DU, ER, WIR, IHR und SIE. So sind die Wörter in der Bedeutung in Wechselwirkung mit den Bildern inhaltlich aufladbar und vielschichtig zu interpretieren und führen auf elementare menschliche und politische Themen zurück.
3. Verbindendes Element
Als drittes Gestaltungselement wird das Gebäude von einem spektralfarbenen Liniengeflecht umweht, dass die anderen Elemente formal verbindet und neben den dekorativen Qualitäten zeichenhaft Begriffe wie „Buntes Spektrum“, „Divergierende Linien“, „Vorwärts und Rückwärtsbewegungen“, oder „ Auseinanderdriften und Zusammenlaufen“ veranschaulicht. Begriffe, die auch auf das soziokulturelle Zusammenleben einer städtischen Gesellschaft bezogen werden können. Der Bauzaun nimmt dieses Element auf und bietet schriftlich Informationen zum Gebäude und dem Themenbereich „Flucht und Vertreibung“.
Die Beplanung wurde von der Firma Schömig aus Rimpar hergestellt und produziert. Das Grafikbüro von WWS Stadt Würzburg lieferte standgenaue Daten.
Fakten zur Gestaltung „Grafeneckart“
Gesamtfläche der gestalteten Plane: rund 1.300 m²
Max. Höhe der gestalteten Plane: rund 38 m
Max. Breite der gestalteten Plane: rund 23 m (West- und Südfassade)
Gerüststellung: Beginn: Nov. 2015 – Ende: Mai 2017 -> 18 Monate
Kosten: Gestaltung + Material + Leistung: 25.000 €
+ Anpassungen am Gerüst: 5.000 €
abzüglich Einsparungen bei Gerüstplane: 15.000 €
Kosten für Gestaltung: 15.000 €; (pro m² rund 11,50 €)
Bild: Eine Baustelle als Hingucker: Jens Kulicke, Fachabteilungsleiter Hochbau, Stadtgrafiker Markus Westendorf und Oberbürgermeister stellen die anspielungsreiche Gestaltung der Grafeneckart-Fassade vor. (Foto: Georg Wagenbrenner)