Würzburg – Ohne Magnetfeld sähe das Leben auf der Erde ziemlich ungemütlich aus: Energiereiche kosmische Teilchen würden in großer Menge die Atmosphäre durchdringen und in den Zellen aller Lebewesen Schäden verursachen. In technischen Systemen würden sich Fehlfunktionen häufen, in Einzelfällen können elektronische Bauteile auch komplett zerstört werden.
Ungeachtet seiner hohen Bedeutung für das Leben auf der Erde ist bislang noch nicht im Detail geklärt, wie das Magnetfeld entsteht. Zwar existieren diverse Theorien über seinen Ursprung; diese sind aus Sicht vieler Experten allerdings nur unzureichend oder fehlerhaft. Einen neuen Ansatz für eine mögliche Erklärung liefert eine Entdeckung Würzburger Physiker. Sie stellen ihre Studie in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Nature Communications vor. Demnach könnte der Schlüssel für den Effekt in der besonderen Struktur des Elements Nickel verborgen sein.
Widerspruch zwischen Theorie und Realität
„Die gängigen Modelle für das Erdmagnetfeld arbeiten mit Werten für die elektrische und die thermische Leitfähigkeit der Metalle im Erdinneren, die mit der Realität nicht übereinstimmen können“, sagt Giorgio Sangiovanni, Professor am Institut für Theoretische Physik und Astrophysik der Universität Würzburg. Er zeichnet zusammen mit seinem Doktoranden Andreas Hausoel und Postdoktorand Michael Karolak für die gerade veröffentlichte, internationale Kollaboration verantwortlich. Daran beteiligt sind auch Alessandro Toschi und Karsten Held von der TU Wien, mit denen Giorgio Sangiovanni eine enge langfristige Kooperation hat, sowie Wissenschaftler aus Hamburg, Halle (Saale) und Ekaterinburg in Russland.
6.300 Grad Celsius und ein Druck von etwa 3,5 Millionen bar herrschen am Erdmittelpunkt in einer Tiefe von gut 6.400 Kilometern. Die vorherrschenden Elemente, Eisen und Nickel, bilden unter diesen Umständen eine feste Metallkugel, den inneren Erdkern. Um diese Kugel herum befindet sich der äußere Erdkern, wobei Eisen und Nickel dort zähflüssig sind. In dieser elektrisch leitenden Flüssigkeit können sich in der Eisenschmelze durch Fließbewegungen elektrische Ströme verstärken und Magnetfelder ausbilden – so jedenfalls die gängige Geodynamo-Theorie. „Diese ist aber nicht widerspruchsfrei“, sagt Giorgio Sangiovanni.
Bandstruktur-induzierte Korrelationseffekte
„Der Grund dafür ist, dass Eisen sich zwar bei Raumtemperatur wegen seiner großen effektiven Elektron-Elektron-Wechselwirkung deutlich von gewöhnlichen Metallen, wie beispielsweise Kupfer oder Gold, unterscheidet. Es ist stark korreliert“, sagt er. Die Effekte der elektronischen Korrelation werden aber bei den extremen Temperaturen des Erdkerns deutlich geschwächt, und konventionelle Theorien sind anwendbar. Diese Theorien sagen dann für Eisen eine viel zu große thermische Leitfähigkeit voraus, mit der der Geodynamo nicht funktionieren würde.
Nickel verhält sich anders. „Wir haben bei Nickel eine deutliche Anomalie bei sehr hohen Temperaturen entdeckt“, sagt der Physiker. „Nickel ist auch ein stark korreliertes Metall. Die Ursache dafür ist nicht wie bei Eisen die Elektron-Elektron-Wechselwirkung alleine, sondern liegt hauptsächlich in der besonderen Bandstruktur von Nickel. Wir geben dem Effekt den Namen bandstruktur-induzierte Korrelation.“ Die Bandstruktur eines Festkörpers ist nur von den geometrischen Anordnung der Atome im Gitter und der Atomsorte vorgegeben.
Eisen und Nickel im Erdinneren
„Bei Raumtemperatur ordnen sich Eisenatome so an, dass die jeweiligen Atome an den Ecken eines gedachten Würfels sitzen mit einem zentralen Atom in der Würfelmitte, in einer sogenannten bcc-Gitterstruktur“, erklärt Andreas Hausoel. Steigen Temperatur und Druck, verändert sich diese Struktur allerdings: Die Atome rücken enger aneinander und bilden ein hexagonales Gitter – Physiker sprechen von einem hcp-Gitter, wodurch Eisen seine korrelierten Eigenschaften größtenteils verliert.
Anders aber Nickel: „Bei diesem Metall sitzen die Atome schon im Normalzustand so dicht gepackt in der Würfelstruktur wie möglich. Sie verändern diese Anordnung auch dann nicht, wenn Temperatur und Druck sehr groß werden“, so Hausoel. Nur das Zusammenspiel dieser geometrischen Stabilität und der Geometrie entstammenden elektronischen Korrelationen machen das ungewöhnliche physikalische Verhalten von Nickel unter extremen Bedingungen erklärbar. Obwohl bisher von Geophysikern vernachlässigt, scheint also Nickel eine wichtige Rolle für das Erdmagnetfeld zu spielen.
Entscheidender Tipp aus der Geophysik
Die Geschehnisse im Erdkern sind eigentlich nicht Forschungsschwerpunkt an den Lehrstühlen für theoretische Festkörperphysik der Universität Würzburg. Vielmehr konzentrieren sich Sangiovanni, Hausoel und ihre Kollegen auf die Eigenschaften stark korrelierter Elektronen bei tiefen Temperaturen. Sie interessieren sich für Quanten- und sogenannte Vielteilchen-Effekte, die für die nächste Generation der Datenverarbeitung und der Energiespeicherung von Interesse sind. Supraleitung und Quantencomputer lauten die dazu gehörigen Stichworte. Daten aus Experimenten kommen bei dieser Art der Forschung nicht zum Einsatz. „Wir nehmen die bekannten Eigenschaften von Atomen als Input, beziehen die Erkenntnisse der Quantenmechanik mit ein und versuchen damit, das Verhalten großer Atomverbünde zu berechnen“, sagt Hausoel. Weil diese Berechnungen extrem aufwendig sind, müssen die Wissenschaftler dabei auf externe Unterstützung setzen – den Hochleistungsrechner SUPERMUC am Leibniz-Rechenzentrum in Garching.
Und wie kam dabei der Erdkern ins Spiel? „Wir wollten schauen, wie stabil die neuartigen magnetischen Eigenschaften von Nickel sind und haben dabei gefunden, dass sie auch extrem hohe Temperaturen überleben“, sagt Hausoel. Diskussionen mit Geophysikern und weitere Untersuchungen von Eisen-Nickel Legierungen haben ergeben, dass diese Entdeckung für die Vorgänge im Erdkern relevant sein könnte.
Hausoel A., et al. Local magnetic moments in iron and nickel at ambient and Earth’s core conditions. Nat. Commun. 8, 16062 doi:10.1038/ncomms16062 (2017)
Bild: Die Würzburger Autoren der Studie: Giorgio Sangiovanni, Michael Karolak und Andreas Hausoel. (Foto: privat)