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Mathe machen ohne es zu merken

Würzburg – „Mathematikunterricht ist dann am erfolgreichsten, wenn Schülerinnen und Schüler gar nicht merken, dass sie Mathematik machen.“ Danach gefragt, wie das gehen soll, muss Professor Hans-Stefan Siller nicht lange überlegen. „Indem man ihnen Probleme aus dem Alltag präsentiert, die sie lösen sollen“, sagt er.

Also beispielsweise die Frage, welcher Weg auf den Berggipfel den geringsten Energieaufwand benötigt. Oder ob sich zu Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft aus den Wettquoten die Wahrscheinlichkeit errechnen lässt, mit der ein bestimmtes Team in die Hauptrunde kommt. Von „Mathematischer Modellierung“ spricht die Wissenschaft in solchen Fällen.

Siller hat seit einem Jahr den Lehrstuhl für Didaktik der Mathematik an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) inne; ein zeitgemäßer Mathematikunterricht an sämtlichen Schularten, der auf eine zunehmend heterogene Schülerschaft eingeht, steht auf seiner Wunschliste ganz oben. Dafür arbeitet er in seiner Forschung daran, die Wirksamkeit bestimmter Maßnahmen zu untersuchen, und so evidenzbasiert aufzuzeigen, welche Unterrichtsformen einen Mehrwert für den heutigen Mathematikunterricht bringen. Dazu passend will er in der Lehre Studierenden aufzeigen, dass ein theoriebasierter fachdidaktischer Ansatz genau diesen Mehrwert liefern kann.

Angst vor Mathe muss nicht sein

„Mathematik ist ein Angstfach – ganz klar“, sagt Siller. Dem aus dem Weg zu gehen, sei in der heutigen Zeit allerdings nicht möglich, schließlich ist Mathematik der Sprache der Naturwissenschaft und durchdringt somit längst sämtliche Lebensbereiche des modernen Menschen. Eine „Sprache mit Struktur, auf die man sich einlassen muss, um sie zu verstehen“: So versteht Siller das Fach. Und damit Schülerinnen und Schüler sich leichter tun, diese Sprache zu erlernen, hält sein Lehrstuhl jede Menge Angebote parat – von der Grundschule bis zum Gymnasium.

An die ersten bis vierten Klassen richtet sich beispielsweise Emils Forschercamp. Schülerinnen und Schüler können dabei einen Tag lang an der Uni mathematische Phänomene aus Arithmetik und Geometrie erkunden. Betreut werden sie dabei durch Studierende, die in einem begleitenden Seminar die jeweiligen Aufgaben für die Kinder neu entwickelt oder bereits bestehende Forscherstationen optimiert haben. Im Rahmen von Emils Forschercamp werden Siller und sein Team in Zukunft auch intensiv am Thema „Rechenschwäche“ forschen. Ziel sind eine verbesserte Diagnostik sowie individuelle Unterstützungsangebote für die Betroffenen.

Die Uni kommt an die Schule

An alle Schularten außer Grundschulen richten sich von Siller neu konzipierte Angebote zu mathematischen Modellierungen. „Wir gehen dafür an die Schulen und arbeiten über mehrere Tage hinweg mit den Klassen an einem konkreten Problem“, erklärt der Mathe-Didaktiker. Wie muss das Gelenk eines Scheibenwischers konstruiert sein, damit der eine möglichst große Fläche säubern kann? Wie kommt man besser in die Parklücke – rückwärts oder vorwärts? Fragen wie diese sollen die Schülerinnen und Schüler mit Hilfe der Mathematik lösen und dabei im Idealfall vergessen, dass sie es mit dem „Angstfach“ zu tun haben.

Um den potenziellen Nutzen der Digitalisierung im Mathematikunterricht geht es in einem neuen Projekt, das Siller jetzt gemeinsam mit dem MIND-Center, dem Mathematischen, Informationstechnologischen und Naturwissenschaftlichen Didaktikzentrum der JMU, gestartet hat. Finanziert von der Telekom-Stiftung, wollen die Wissenschaftler dabei an konkreten Beispielen mit Schulklassen untersuchen, inwieweit Simulationen – beispielsweise in der virtuellen Realität – dabei helfen können, mathematische Probleme zu verstehen und zu lösen.

Gute Berufsaussichten für Mathematiker

Dass Lehramtsstudierende frühzeitig im Studium mit Schulklassen arbeiten, ist Hans-Stefan Siller ein wichtiges Anliegen. „Schulpraxis muss integraler Bestandteil des Studiums sein“, sagt er. In den LehrLernLaboren der Mathe-Didaktik seien deshalb Anknüpfungspunkte zur Praxis immer gegeben.

Wer sich heute dafür entscheidet, Mathematiklehrerin oder -lehrer zu werden, muss sich keine Sorgen um seine spätere Anstellung machen. „Mit Mathematik bekommt man definitiv einen Job“, sagt Siller. Neben der Begeisterung für das Fach sei allerdings auch „Sitzfleisch“ vonnöten; man müsse dazu bereit sein, sich konsequent durchzubeißen, damit sich der gewünschte Lernerfolg einstellt. Die Freude an der Arbeit mit jungen Menschen sei dabei Grundvoraussetzung, erklärt Siller. Und natürlich müsse sich jeder Lehramtsstudierende darüber im Klaren sein, dass sein Job später nicht mittags endet und mit zwölf Wochen Urlaub im Jahr einhergeht. „Das Bild, das die Gesellschaft von Lehrkräften hat, ist in diesen Punkten völlig falsch gezeichnet“, sagt er.

Zur Person

Hans-Stefan Siller (Jahrgang 1977) hat in Graz Mathematik und Physik für das Lehramt in der Sekundarstufe II studiert. Seine Promotion schloss er 2006 an der Universität Salzburg ab; an der Universität Wien hat er sich 2012 mit einer Arbeit zum Thema „Modellbilden und Simulation – Wege zu einem realitätsbezogenen Mathematikunterricht“ habilitiert. Parallel zur Promotion hat er von 2002 bis 2007 als Lehrer an einem österreichischen Gymnasium gearbeitet.

Während seiner Zeit am „Bundesinstitut für Innovation und Entwicklung im österreichischen Schulwesen“ war Siller für die Einführung der zentralen schriftlichen Reifeprüfung im Fach Mathematik zuständig. In Österreich gibt es seit 2015 ein Zentralabitur, was von heftigen Diskussionen begleitet wurde.

Weitere Stationen von Sillers akademischer Laufbahn waren Stellen als Gastprofessor in Bozen, Innsbruck und Linz; im April 2012 wechselte er auf eine Professur an der Universität Koblenz. Seit Oktober 2017 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Mathematik V (Didaktik der Mathematik), wie der korrekte Name lautet, an der Universität Würzburg.


Bild: Eine „Sprache mit Struktur, auf die man sich einlassen muss, um sie zu verstehen“: So versteht Hans-Stefan Siller das Fach Mathematik. (Foto: Gunnar Bartsch) 

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