Würzburg – Eine Lüge zu erkennen, ist nicht leicht. Noch schwerer fällt das, wenn der potenzielle Lügner nicht in seiner Muttersprache spricht. Warum das so ist, haben Psychologen der Universität Würzburg untersucht.
In einer Fremdsprache zu lügen, fällt den meisten Menschen nicht schwerer als in ihrer Muttersprache. Bei wahrheitsgemäßen Aussagen sieht das hingegen anders aus: Diese gehen vielen Menschen in einer ungewohnten Sprache deutlich schwerer über die Lippen als in ihrer Muttersprache. Dieser seltsam klingende Befund ist das Ergebnis einer Studie zweier Psychologen der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU): Dr. Kristina Suchotzki, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Psychologie I, und Matthias Gamer, Professor für Experimentelle Klinische Psychologie.
In der neuesten Ausgabe der Fachzeitschrift Journal of Experimental Psychology stellen die Beiden ihre Arbeit jetzt vor. Die Ergebnisse ihrer Arbeit könnten für viele Prozesse von Bedeutung sein, in denen es darum geht, die Glaubwürdigkeit bestimmter Personen zu beurteilen – beispielsweise in Asylverfahren. Dann nämlich wirken Aussagen in einer Fremdsprache schneller unglaubwürdig, auch wenn sie der Wahrheit entsprechen. Und noch ein Phänomen lässt sich mit dieser neuen Entdeckung erklären: die Tatsache, dass Menschen, die in einer anderen als ihrer Muttersprache kommunizieren, generell, aber möglicherweise auch fälschlicherweise als weniger glaubwürdig eingeschätzt werden.
Wenig Forschung zum Lügen in einer Fremdsprache
„In unserer globalisierten Welt findet immer mehr Kommunikation in einer Sprache statt, die nicht die Muttersprache einiger oder aller Gesprächsteilnehmer ist“, schildert Kristina Suchotzki den Hintergrund ihrer Untersuchung. Dabei gebe es durchaus Situationen, in denen es sich lohnen kann zu lügen. Beispielsweise bei Geschäftsverhandlungen, wenn es darum geht, das Gegenüber von den Vorteilen eines Produktes zu überzeugen. Oder in einer Vernehmung, in dem der Mordverdächtige versucht, die Polizei von seiner Unschuld zu überzeugen.
Die bisherige Forschung auf diesem Gebiet habe sich vor allem auf die Vertrauenswürdigkeit von Menschen konzentriert, die in ihrer Muttersprache oder einer Fremdsprache sprechen. Die Ergebnisse aus diesen Untersuchungen zeigen, dass Beobachter Aussagen von Muttersprachlern eher als wahrheitsgemäß beurteilen verglichen mit Aussagen von Nicht- Muttersprachlern. „Nur wenige Experimente haben jedoch untersucht, ob Menschen tatsächlich in einer Fremdsprache weniger gut lügen“, so die Psychologin.
Zwei widersprüchliche Theorien
Ob Lügen in einer Fremdsprache leichter oder schwerer fallen: Dazu gibt es in der Psychologie zwei Theorien, die sich widersprechen. So legt die Cognitive Load Theory – auf Deutsch „Theorie der kognitiven Belastung“ – den Schluss nahe, dass sich Lügner in einer Fremdsprache schwerer tun. „Lügen ist im Vergleich zum Wahrheitssagen schon für sich gesehen eine kognitiv anspruchsvolle Aufgabe“, erklärt Kristina Suchotzki. Komme die Fremdsprache hinzu, mache die zunehmende kognitive Belastung das Lügen noch schwieriger.
Lügen fällt in einer Fremdsprache leichter: Das müsste gelten, wenn die Emotional Distance Hypothesis zutrifft. Diese Theorie geht von der Beobachtung aus, dass Lügen mit mehr Emotionen verbunden ist als ein Bei-der-Wahrheit-Bleiben. Wer lügt, steht unter Stress und ist angespannt. Den Kontrast dazu bilden Befunde aus der Linguistik, Psychologie und Psychophysiologie, die zeigen, dass das Sprechen in einer zweiten Sprache im Vergleich zum Sprechen in einer Muttersprache weniger emotional erregend ist. „Ausgehend von der emotionalen Distanzhypothese würde man daher erwarten, dass Lügen in einer Fremdsprache geringere emotionale Erregung auslöst“, sagt Suchotzki. Diese verminderte emotionale Erregung würde demnach das Lügen erleichtern.
Experimente und Ergebnisse
Um die Frage zu klären, welche der Theorien zutrifft, haben die Würzburger Psychologen in einer Reihe von Experimenten jeweils bis zu 50 Versuchspersonen spezielle Aufgaben erledigen lassen. Sie sollten eine Vielzahl von Fragen beantworten – mal wahrheitsgemäß, mal gelogen, mal in ihrer Muttersprache, mal in einer Fremdsprache. Ein Teil dieser Fragen waren neutral formuliert, wie etwa „Berlin liegt/liegt nicht in Deutschland“; andere hatten eindeutig emotionalen Charakter, beispielsweise „Haben Sie jemals illegale Drogen konsumiert?“ oder „Würden Sie als Nacktmodell arbeiten?“. Währenddessen haben die Wissenschaftler die Geschwindigkeit gemessen, in der die Versuchspersonen Antworten gaben, und deren Hautleitfähigkeit und Herzrate.
Stichpunktartig zusammengefasst sehen die Ergebnisse wie folgt aus:
- Die Beantwortung emotionaler Fragen dauert im Vergleich zu neutralen Fragen in der Regel länger.
- Antworten in der Fremdsprache benötigten ebenfalls mehr Zeit als Antworten in der Muttersprache.
- Prinzipiell dauert es länger, eine Lüge auszusprechen als die Wahrheit.
- In einer Fremdsprache fallen die zeitlichen Unterschiede zwischen gelogenen und wahrheitsgemäßen Antworten allerdings geringer aus in der Muttersprache.
- Der geringere Unterschied resultiert allerdings nicht aus einer schnellen Antwort, die gelogen ist. Vielmehr kommt in der Fremdsprache auch die Wahrheit langsamer über die Lippen als in der Muttersprache.
- Egal, ob neutrale oder emotionale Frage: In einer Fremdsprache sind die zeitlichen Unterschiede zwischen Wahrheit und Lüge prinzipiell geringer.
In diesen Ergebnissen spiegeln sich nach Ansicht der Psychologen „entgegengesetzt wirkende Effekte von emotionaler Distanz und kognitiver Belastung“ wider. „Ausgehend von der kognitiven Belastungstheorie hätte man einen erhöhten Aufwand für das Wahrheiten-Sagen und Lügen in einer Fremdsprache erwartet, wobei der erhöhte Aufwand für das Lügen ausgeprägter gewesen wäre“, sagt Kristina Suchotzki. Tatsächlich legen es die Daten nahe, dass der erhöhte kognitive Aufwand für die Verlängerung der Wahrheitsreaktion in der Fremdsprache verantwortlich ist.
Wieso diese Verlängerung beim Lügen nicht oder nur geringfügig zu sehen ist, lässt sich mit Hilfe der Emotional Distance Hypothesis erklären: Die stärkere emotionale Distanz in der Fremdsprache kompensiert demnach quasi die erhöhte kognitive Belastung beim Lügen.
The Language of Lies: Behavioral and Autonomic Costs of Lying in a Native Compared to a Foreign Language. Kristina Suchotzki and Matthias Gamer, Journal of Experimental Psychology: General. http://dx.doi.org/10.1037/xge0000437
Bild: Dr. Kristina Suchotzki: In der Fremdsprache lügt sich’s besser. (Foto: Gunnar Bartsch)