Pädagogische und politische Fragen zum Thema „Fluchtmigration“ standen im Mittelpunkt eines Seminars für Studierende aller Fachbereiche. Angeboten wurde es vom Sonderpädagogik-Teilprojekt des GSiK-Lehrprogramms (Globale Systeme und interkulturelle Kompetenz).
Immer mehr Flüchtlinge erreichen nach Monaten oder sogar Jahren der Flucht Europa. Sie hoffen auf ein Leben in Sicherheit, ohne politische Verfolgung oder Elend. Unter ihnen befinden sich auch Erwachsene, Jugendliche und Kinder, die – bedingt durch ihre Vorgeschichte – viele persönliche Problemlagen mitbringen. Zusätzlich haben sie in Europa mit politischen, bürokratischen und menschlichen Hürden zu kämpfen.
Das Thema „Fluchtmigration“ ist nicht nur auf politischer Ebene relevant. „Der erlebte psychosoziale Stress kann in Zusammenhang mit der Situation in Europa eine Kumulation an Belastungen in sich bergen, der es auch aus der Sonderpädagogik heraus Rechnung zu tragen gilt.“ Das sagt Nina Reinsch von der Universität Würzburg, Dozentin am Lehrstuhl für Pädagogik bei Verhaltensstörungen.
Inhalte des Seminars über Migration und Flucht
Reinsch hat darum im Sommersemester 2015 das Seminar „Migration und Flucht – zwischen Traum und Trauma“ angeboten. Die 29 Teilnehmer sollten klären, welchen Problemen und Belastungen Flüchtlinge während und nach der Flucht begegnen und welche pädagogischen Konsequenzen sich daraus ziehen lassen. Die Studierenden lernten dabei auch Grundlagen der europäischen und deutschen Flüchtlings- und Asylpolitik kennen.
Das Seminar startete unkonventionell: Die Studierenden sollten ihre Vorurteile und ihr Wissen über Flüchtlinge und Asylbewerber verbalisieren und visualisieren. Das bildete die Grundlage für einen Brückenschlag zu politischen, juristischen und theoretischen Migrationsthemen sowie zu Einzelschicksalen, die dann aus sonderpädagogischer Perspektive betrachtet wurden.
„Im Lauf des Semesters konnten die Studierenden verschiedene Vorurteile revidieren und entsprechende pädagogische und politische Fragestellungen diskutieren“, sagt Reinsch. In der letzten Sitzung seien alle Seminarteilnehmer dazu in der Lage gewesen, jedem bis dahin geäußerten Vorurteil mit dem nötigen Hintergrundwissen zu begegnen.
„Asylbewerber wollen sich ja gar nicht integrieren!“ Zu dieser Pauschalaussage gibt es beispielsweise zu bedenken, dass schon die Unterbringung von Flüchtlingen am Stadtrand eine Teilhabe am Leben in der Stadt erschwert. Dazu kommen unter anderem Sprachbarrieren und fehlendes Wissen über die Einrichtungen und Möglichkeiten der Teilhabe, die es in Deutschland gibt.
Ein sonderpädagogisch relevantes Thema
Nina Reinsch betonte in dem Seminar immer wieder die sonderpädagogische Relevanz des Themas. Schließlich sei die Arbeit mit Flüchtlingen nicht nur durch migrationsspezifische Belastungen wie den Verlust der Heimat oder das Lernen einer anderen Sprache gekennzeichnet, sondern zusätzlich durch Erfahrungen von Gewalt, Krieg und Not.
„Sehr häufig ergeben sich daraus Traumata und posttraumatische Belastungsstörungen, die durch negative Erfahrungen im Aufnahmeland noch verstärkt werden können“, so die Dozentin. Aus diesem Grund ging es im Seminar stark um die besondere Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge, um die psychische Gesundheit von Flüchtlingen, um Integrations- und Akkulturationsprozesse sowie weitergehende Schwierigkeiten in der Aufnahmegesellschaft, wie Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit. Letztendlich wurde daraus die Relevanz pädagogischer Handlungsfelder abgeleitet, wie das der Traumapädagogik.
Reaktionen von Seminarteilnehmerinnen
Die Studierenden, die hauptsächlich aus der Sonderpädagogik und der Pädagogik stammten, stuften die Lehrveranstaltung als vollen Erfolg ein. „Das Seminar hat es geschafft, das Thema der allseits gewünschten interkulturellen Kompetenz in Bezug auf Flucht und Asyl vom Theoriebereich in die Praxis zu manövrieren und für die Studierenden auch im Alltag zu verankern und anwendbar zu machen“, sagt Julia Seifert, Studentin des Gymnasiallehramtes.
Allgemein lobten die Studierenden die inhaltliche Vielfalt des Seminars. Für Pädagogikstudentin Anna Fries zum Beispiel war vor allem der Austausch mit anderen engagierten und am Thema „Flucht“ interessierten Personen besonders interessant und fruchtbar.
Pädagogik bei Verhaltensstörungen im GSiK-Projekt
Dieses Seminar der Pädagogik bei Verhaltensstörungen fand im Rahmen des Würzburger Lehrprogramms GSiK (Globale Systeme und interkulturelle Kompetenz) statt. GSiK steht Studierenden aus allen Fachbereichen offen. Wer im Lauf seines Studiums eine gewisse Anzahl von GSiK-Lehrveranstaltungen besucht, bekommt dafür ein Zertifikat, das ein wertvoller Bestandteil der Bewerbungsmappe werden kann.
Im GSiK-Teilprojekt der Sonderpädagogik, das sich ebenfalls an Studierende aller Fachrichtungen wendet, werden flucht- und migrationsbezogene Auffälligkeiten des Verhaltens und Erlebens im interkulturellen Kontext thematisiert. Gemeinsam mit den Studierenden werden dabei auch Präventions-, Interventions- und Lösungsstrategien entwickelt. Die Studierenden sollen zudem für die psychosozialen Belastungen sensibilisiert werden, die Migranten, Flüchtlinge und Asylbewerber vor und nach einem Kulturwechsel erleben. Ebenso werden Probleme und Möglichkeiten bei der Integration von Ausländern in deutschen Bildungs- und Erziehungseinrichtungen, aber auch im sozialen Leben, thematisiert.
Zur Homepage des GSiK-Teilprojekts Sonderpädagogik: https://www.sonderpaedagogik-v.uni-wuerzburg.de/forschung_projekte/globale_systeme_und_interkulturelle_kompetenz/