Vor 1600 Jahren ging der Kirchenvater Hieronymus bei der Übersetzung des alttestamentlichen Buches Judit mitunter sehr kreativ ans Werk: Vom Originaltext ließ er nur etwa die Hälfte übrig. Das zeigt die Theologin Lydia Lange in ihrer Doktorarbeit auf.
Eine schöne und fromme Witwe rettet ihre Stadt und das ganze Volk Israel vor dem Heer des assyrischen Generals Holofernes: Diese Geschichte wird im alttestamentlichen Buch Judit erzählt.
Das Buch Judit – frei übersetzt?
Verkürzt geschildert: Die Assyrer belagern die Bergfestung Betulia, die Lage für deren Bewohner ist hoffnungslos. Die Witwe Judit macht sich darum ins Heerlager der Feinde auf, wo sie wegen ihrer außerordentlichen Schönheit Zugang zu Holofernes bekommt. Nach einem Festmahl zu ihren Ehren gelingt es ihr, den betrunkenen General in seinem Zelt zu enthaupten. Sie kehrt mit dem abgeschlagenen Kopf zu ihrem Volk zurück, das daraufhin wieder Mut fasst, einen Ausfall wagt und die Assyrer vertreibt.
„Das Buch Judit ist eines der jüngeren Werke des Alten Testaments; es wurde erstmals um 100 vor Christus in griechischer Sprache niedergeschrieben“, sagt Lydia Lange (32) von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Würzburg. Sie hat sich in ihrer Doktorarbeit mit den verschiedenen lateinischen Übersetzungen des Buches befasst, allen voran mit der um 400 nach Christus vom Kirchenvater Hieronymus geschaffenen Vulgata-Fassung.
Schon ein erster Vergleich zeigte: Hieronymus kürzte und veränderte den Text so stark, dass seine „Übersetzung“ nur noch etwa zur Hälfte mit dem Original übereinstimmt. Die Würzburger Theologin stellte darum einen akribisch genauen Textvergleich an.
Plötzlich keusch
„Hieronymus hebt Judit als besonders keusch hervor – aber im griechischen Original und in den anderen lateinischen Übersetzungen kommt dieses Wort gar nicht vor“, sagt Lange. Im Ursprungstext handelt Judit zudem ohne göttlichen Beistand, doch Hieronymus lässt Gott in die Handlung eingreifen: Gerade weil Judit so keusch ist, verhilft Gott ihr zu noch größerer Schönheit.
Warum machte der Übersetzer das? Um das zu klären, befasste sich Lange auch mit Hieronymus selbst, mit seinen Werken und Briefen, die überliefert sind. „Hieronymus umgab sich in Rom mit reichen Witwen und Jungfrauen“, so die Theologin. Ihnen brachte er nahe, wie sie auf Gottes Wegen leben sollten – nämlich keusch und asketisch. Die Frauen sollten zum Beispiel fasten, sich nicht schminken und zurückgezogen leben. Dieses Anliegen ließ der Kirchenvater wohl in seine Übersetzungsarbeit einfließen und in der Figur der Judit kumulieren.
Beten wie in Rom
Möglicherweise wendete Hieronymus auch eine Strategie an, die noch heute im Theater oder der Literatur gängig ist: einen alten Erzählstoff für die Gegenwart aufzubereiten. Im griechischen Textoriginal geht Judit zum Beten stets alleine in ein Zelt auf dem Dach ihres Hauses. In der Übersetzung dagegen verrichtet sie ihre Gebete gemeinsam mit anderen Frauen in einer Kammer im Haus – „so war es zu Hieronymus‘ Zeiten in Rom üblich“, erklärt Lange. Die Wissenschaftlerin kann sich darum gut vorstellen, dass der Bibelübersetzer das Buch in ein zeitgemäßes Gewand kleiden und es dadurch für seine Zeitgenossen besser verständlich machen wollte.
Fazit: Die Vulgata-Fassung des Buches Judit ist viel mehr als bloß eine Übersetzung. Wie und unter welchen Perspektiven der Kirchenvater Hieronymus mit dem Text gearbeitet und ihn weiterentwickelt hat, das zeigt Lydia Lange in ihrer Doktorarbeit eindrucksvoll auf.
Figurenanalyse entwickelt
Für ihre Studie hat sie eine exegetisch-
Die Dissertation ist im Juli 2016 im Verlag De Gruyter als Buch erschienen. Betreut wurde sie von Professorin Barbara Schmitz, Inhaberin des Lehrstuhls für Altes Testament und biblisch-orientalische Sprachen an der Universität Würzburg.
Lange, Lydia: Die Juditfigur in der Vulgata. Eine theologische Studie zur lateinischen Bibel. Verlag De Gruyter, 2016. 456 Seiten, 129,95 Euro. ISBN 978-3-11-048823-4
Bild: Lydia Lange in der Bibliothek des Lehrstuhls für Altes Testament und biblisch-orientalische Sprachen. (Foto: Robert Emmerich)