Würzburg – Sie verschafft Orientierung bei der Wahl des Studienfachs, sie berät Familien in Schulfragen, sie forscht über Hochbegabung: Seit zehn Jahren ist die Begabungspsychologische Beratungsstelle der Uni Würzburg aktiv. Bei der Geburtstagsfeier gab es Einblicke in die erfolgreiche Arbeit.
Schock für das ganze Land: Ende 2001 zeigte die PISA-Studie, dass die Kinder in Deutschland mit ihren schulischen Leistungen im internationalen Vergleich zurückliegen. Das brachte die Bildungsexperten ins Grübeln. „Auch in Würzburg haben wir viel darüber diskutiert, wie sich Begabungsreserven mobilisieren lassen“, sagt Wolfgang Schneider, Professor für Pädagogische Psychologie und Entwicklungspsychologie an der Universität.
Aus dieser Situation heraus entstand schließlich im Februar 2005 die Begabungspsychologische Beratungsstelle. Bei einer Feier zum zehnjährigen Bestehen gab Schneider nun viele Einblicke in die erfolgreiche Arbeit der Einrichtung, die er von Anfang an leitet.
Erstes Frühstudium in Bayern realisiert
Begabungsreserven mobilisieren – ein erster Schritt dazu wurde schon 2004 getan. Damals richtete die Uni Würzburg als erste Hochschule in Bayern ein Frühstudium ein. Seitdem können besonders begabte Schüler noch während der Schulzeit Vorlesungen und Seminare an der Uni Würzburg besuchen und Prüfungen mitschreiben. Die erbrachten Leistungen werden ihnen später im Studium anerkannt. Rund 40 Frühstudierende in 16 Studiengängen sind derzeit im Schnitt pro Semester eingeschrieben.
„Wir haben seinerzeit ein Auswahlverfahren entwickelt, um geeignete Schüler zu identifizieren, und in der Folge das Frühstudium auch wissenschaftlich begleitet und evaluiert“, erzählt Schneider. Diese Aktivitäten legten gewissermaßen den Keim für die Begabungspsychologische Beratungsstelle. Heute geht es dort nicht nur ums Frühstudium, sondern auch um Beratungen für Familien und Studierende sowie um Forschungsprojekte.
Orientierungsberatung und Online-Tests
Die Beratungsstelle am Röntgenring 10 hilft Abiturienten, Studieninteressierten und Studierenden bei der Orientierung in Sachen Studienfachwahl und Berufsziele. „Zwischen 100 und 150 Beratungen laufen jedes Jahr, Tendenz steigend“, so Schneider. Zu 90 Prozent sind es Studierende, die das Angebot wahrnehmen. „Was soll ich studieren? Welches Fach passt am besten zu mir?“ Wenn Studieninteressierte sich das fragen, hilft ihnen seit Anfang 2014 ein Online-Interessentest weiter, den die Beratungsstelle entwickelt hat.
Zusätzlich werden Online-Selbsttests für Wirtschaftswissenschaft, Chemie, Physik, Mathematik und Lehramt erarbeitet. Sie richten sich an all diejenigen, die mit diesen Studienfächern liebäugeln. Bei den Tests sind Aufgaben zu bearbeiten, die für das jeweilige Fach typisch sind. So kann jeder herausfinden, ob seine Vorstellungen vom favorisierten Studiengang richtig sind. Die Selbsttests entstehen im Rahmen des „Qualitätspakts Lehre“, in dem die Uni Würzburg vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird.
Familienberatung in Schul- und Leistungsfragen
Die Beratungsstelle unterstützt zudem Familien, die zum Beispiel vor der Frage stehen, wann sie ihr Kind einschulen sollen oder ob es an eine weiterführende Schule übertreten kann. Mit psychologischen Tests wird auch geklärt, ob bei Kindern eine Hochbegabung vorliegt. In allen Fällen informiert die Beratungsstelle über Möglichkeiten der individuellen Förderung, bei Leistungsschwächen genauso wie bei Hochbegabung.
Karg-Stiftung fördert die Beratungsstelle
„Sie haben Maßstäbe gesetzt in der Hochbegabtenberatung“, so Ingmar Ahl von der Karg-Stiftung in seinem Grußwort bei der Jubiläumsfeier. Die Stiftung mit Sitz in Frankfurt/Main hat sich der Hochbegabtenförderung verschrieben und unterstützt die Arbeit der Würzburger Beratungsstelle von Anfang an. Derzeit finanziert sie die Studie WÜRFEL (Würzburger frühpädagogischer Erzieherleitfaden), bei der ein pädagogisches Konzept für Kindertagesstätten erarbeitet und evaluiert wird.
„Wichtig ist auch, dass Sie entsprechendes Fachwissen in die Ausbildung der Psychologiestudierenden einbringen“, lobte Ahl die Arbeit der Beratungsstelle weiter. Und nicht zuletzt hätten die Forschungsergebnisse aus Würzburg für nationale Aufmerksamkeit gesorgt.
Stark beachtete Forschungsergebnisse
Für Aufsehen sorgten zum Beispiel die Erkenntnisse der PULSS-Studie. Darin wurde verglichen, welchen Unterschied es macht, ob hochbegabte Kinder in Regelklassen oder in speziellen Hochbegabtenklassen unterrichtet werden. Am Ende stellten die Würzburger Forscher den Hochbegabtenklassen ein gutes Zeugnis aus: Die Schüler bringen dort bessere Leistungen und sind allgemein zufriedener, das ist ein wesentliches Ergebnis der Studie.
Inklusion in der Hochbegabtenförderung
Trotz guter Beurteilung: Hochbegabtenklassen und -schulen werden in der nächsten Zeit wohl in die Diskussion kommen, wie Festredner Professor Marcus Hasselhorn sagte. „Das heißt nicht, dass ihre Ansätze nicht gelungen sind. Aber diese Art der Sonderbeschulung steht dem Inklusionsgedanken entgegen“, so der Direktor des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung in Frankfurt am Main. Hochbegabte sollten aber auf jeden Fall individuell gefördert werden – „denn eine Hochbegabung kann sonst auch verkümmern.“
Hector-Kinderakademien fördern Grundschüler
Seine Festrede hatte Professor Hasselhorn unter den Titel gestellt „Sollten Hochbegabte schon im Grundschulalter gefördert werden?“ Die Antwort: „Ja … aber wie?“ Dazu gab er einige Erkenntnisse aus seiner Forschung weiter. Hasselhorn ist derzeit einer der wissenschaftlichen Begleiter der Hector-Kinderakademien, die seit drei Jahren in Baden-Württemberg entwickelt werden. In den Kinderakademien bekommen besonders begabte Grundschüler außerhalb der regulären Schulzeit verschiedene Förderangebote. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) – entsprechend den Richtlinien der Hector-Stiftung, die die Akademien initiiert hat und sie fördert. Deutlich positive Effekte der Angebote auf die Kinder wurden bei ersten Evaluationen bereits festgestellt.